Gedenk- und Erinnerungskultur

Die Stadt Aschaffenburg hat schon direkt nach dem zweiten Weltkrieg 1945/46 begonnen, die Erinnerung an ihre einstige jüdische Gemeinde zu bewahren. Das Bestreben, sie nicht zu vergessen, besteht bis heute und wird durch viele Institutionen, Vereine und Akteure unterstützt.

Rückblick 2021 – 1946

2021 – Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – auch in Aschaffenburg

Nachweislich seit 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Aus diesem Anlass fanden 2021/22 unter dem Namen „#2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland“ bundesweit rund tausend Veranstaltungen statt. Auch die Stadt Aschaffenburg hat sich mit einer eigenen Veranstaltungsreihe an dem Festjahr beteiligt.

Stadttheater, Volkshochschule, Stadt und Stiftsarchiv, Digitalladen, Führungsnetz, Verein Haus Wolfsthalplatz und das Martinushaus haben zusammengearbeitet, um ein buntes und vielfältiges Programm mit Vorträgen, Konzerten, Lesungen, Filmen, Theater und Führungen auf die Beine zu stellen. Auch die Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht stand 2021 unter dem Gedanken des jüdischen Lebens in Deutschland und ganz speziell in Aschaffenburg.

 Jüdisches Leben in Deutschland

2019 / 2021 – DenkOrt Deportationen 1941–1944 Würzburg, Bahnhofsvorplatz

Nahezu alle Jüdinnen und Juden in Unterfranken wurden über Würzburg in die Vernichtungslager im Osten deportiert. 2015 entstand die Idee, einen Gedenkort am Ausgangspunkt der Transporte zu schaffen. Die Stadt Aschaffenburg war eine der ersten Kommunen, die das Erinnerungsprojekt großzügig finanziell unterstützt hat. 2019 wurde die Planungen für den Würzburger Bahnhofsvorplatz angenommen und im Juni 2020 das Denkmal eingeweiht. 

Historische Fotografien von Gepäckbergen auf Bahnsteigen waren das Vorbild für die Gestaltung. Jede unterfränkische Gemeinde war aufgefordert, ein Gepäckstück einzureichen. Für Aschaffenburg hat die Steinmetz-Meisterschule einen Rucksack aus rotem Main-Sandstein gefertigt, der im September 2021 aufgestellt und feierlich übergeben wurde. Er hat den Flucht-Rucksack von Helen Feingold (* 1921) zum Vorbild, der im Museum jüdischer Geschichte und Kultur ausgestellt ist.

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 DenkOrt Deportationen

Seit 2015 – Verein „Jüdisches Leben in Unterfranken“ – Biographische Datenbank

Eine erste Datenbank mit Informationen zu ehemaligen jüdischen Bürger*innen aus dem Raum Aschaffenburg bestand bereits 1998. 2015 wurde der Verein „Jüdisches Leben in Unterfranken“ gegründet, dessen Mitglieder und Unterstützer ehrenamtlich an einer systematischen Datenerhebung für ganz Unterfranken arbeiten und biographische Informationen zusammenstellen. Die Datenbank ist öffentlich zugänglich und wird regelmäßig erweitert und aktualisiert.

Für die Weiterentwicklung der Datenbank erhält der Verein finanzielle Unterstützung durch den Bezirk Unterfranken, die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt sowie die Bürgerstiftung Aschaffenburg. Fachlich arbeitet der Verein insbesondere mit dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg sowie dem Johanna-Stahl-Zentrum in Würzburg zusammen.

Zur Datenbank

 Biographische Datenbank

2012 – Sonderausstellung „Textiles Gedächtnis – neue Funde zur jüdischen Vergangenheit“

Im Jahr 2009 wurden 26 Torawimpel – kunstvoll verzierte Stoffbänder zum Zusammenhalten einer Torarolle – aus der Zeit von 1787 bis 1933 sowie weitere Textilien und Kultgegenstände aus dem Umfeld der jüdischen Gemeinde in Aschaffenburg entdeckt. Sie lagen lange Zeit unbeachtet in einem Depot der Museen. Dieser „Schatz aus Stoff“ wurde sorgfältig restauriert und konnte 2012 erstmal in der Sonderausstellung „Textiles Gedächtnis“ der Öffentlichkeit vorgestellt werden.  Für Aschaffenburg stellte dieser Fund eine kleine Sensation dar, denn Torawimpel, -mäntel und -vorhänge ermöglichen einen ganz besonderen Blick auf das religiöse Leben der ehemaligen jüdischen Gemeinde.

 Textiles Gedächtnis

2007 – Museum jüdischer Geschichte und Kultur

Das 1984 eröffnete „Dokumentationszentrum der Aschaffenburger Juden“ wurde 2007 umbenannt in „Museum jüdischer Geschichte und Kultur“ und organisatorisch an die Museen der Stadt Aschaffenburg angebunden. Seitdem wird es von der Abteilung „Stadtgeschichte“ betreut. Damit verbunden war auch eine Neuausrichtung des Hauses: Erweitert wurde die Ausstellung durch zahlreiche Objekte, von Kultgegenständen bis zu Werbemitteln jüdischer Geschäfte. Die dreidimensionale Rekonstruktion der 1938 zerstörten Synagoge bietet ein anschauliches Bild vom einstigen Zentrum des jüdischen Lebens.

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2005 – Stolpersteine in Aschaffenburg

Das Projekt „Stolpersteine“ erinnert europaweit an die Opfer des Nationalsozialismus und wurde 1992 von dem Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen. Es gedenkt jener Menschen, die verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Selbstmord getrieben wurden. Den Menschen, die in Konzentrationslagern auf bloße Nummern reduziert worden waren, sollen ihre Namen und Identität zurückzugeben werden. Gleichzeitig zeigen die in den Innenstädten verlegten Steine auf, dass die Opfer aus der Mitte der Gesellschaft gerissen wurden.

2005 erfolgte im Aschaffenburger Stadtrat das einstimme Votum für das Projekt in Aschaffenburg, 2008 fand die erste Verlegung statt. Inzwischen sind über 100 „Stolpersteine“ hinzugekommen.

Übersicht Stolpersteine

 Stolpersteine

1993 – „Biographisches Handbuch der Juden“ in Aschaffenburg

Nach jahrelangen Recherchen und intensivem Studium aller zur Verfügung stehenden Quellen, konnte 1993 Peter Körner, Mitglied des Förderkreises „Haus Wolfsthalplatz“, ein Handbuch veröffentlichen, das Informationen zu 2100 ehemaligen jüdischen Einwohnern von Stadt und Altkreis Aschaffenburg zusammenführte. Das Buch erfasste im vor-digitalen Zeitalter die jüdische Bevölkerung nahezu vollständig und bot erstmals die Möglichkeit, Familienbeziehungen, Lebensdaten, Berufe und Wohnorte greifbar zu machen.

 Biograhisches Handuch der Juden

1986 – Neugestaltung des Wolfsthalplatzes

Nachdem der Wolfsthalplatz seit 1946 nicht verändert worden war und zunehmend als ungepflegt empfunden wurde, rief der Stadtrat 1981 einen „städtebaulichen Ideen- und Realisierungswettbewerb“ ins Leben. Ziel war es auch, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs verblieben Baulücken, sanierungsbedürftigen Gebäude und die Infrastruktur im Umfeld zu verbessern. Es gewann der Vorschlag, den alten Standort der Synagoge durch einen Platanenhain zu kennzeichnen.

Seit 1992 ergänzt der Skulpturen-Brunnen „Zeitwagen“ (Bronze, 1992) von Rainer Stoltz den Platz und nutzt das Wasser als Symbol von Fluss und Richtung der Zeit und will mahnend an die Geschichte dieses Ortes erinnern.

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 Wolfsthalplatz

1985 – Gründung des Förderkreises „Haus Wolfsthalplatz“

Schon vor Einrichtung des jüdischen Dokumentationszentrums hatten sich Gründungsmitglieder des Vereins dafür eingesetzt, das Andenken an die jüdische Gemeinde zu erhalten. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Rabbinatshauses als Erinnerungsort musste über Jahre hinweg etabliert werden. Der Verein machte in den Anfangsjahren mit Aktionen auf die Themen Holocaust, NS-Zeit und Rechtsextremismus aufmerksam. Heute liegt der Schwerpunkt auf überparteilicher und wissenschaftlicher Arbeit und der Bereitstellung von analytischen Grundlagen aus Forschung und Publizistik.

2010 erhielt der Förderkreis den Kulturpreis der Stadt für seine Arbeit gegen das Vergessen und seine langjährigen Aktivitäten zur Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Aschaffenburg.

Zum Förderkreis

 Kulturpreisverleihung

1984 – Eröffnung des „Dokumentationszentrum der Aschaffenburger Juden“

Ein bauliches Zeugnis der ehemaligen jüdischen Gemeinde, das die Zeit des Nationalsozialismus überdauert hat, ist das Rabbinatshaus. Als man die Neugestaltung des Wolfsthalplatzes diskutierte, plante man auch eine andere Nutzung für das Gebäude, das von 1946 an zu unterschiedlichen Zwecken gedient hatte. In dem Haus sollten der Öffentlichkeit Informationen zur früheren jüdischen Gemeinde zugänglich gemacht werden und ein Ort der Begegnung entstehen. Ziel war es, die jüdische Geschichte der Stadt Aschaffenburg vor dem Vergessen zu bewahren.

Nach umfangreicher Sanierung des Gebäudes wurde im Juli 1984 das „Dokumentationszentrum der Aschaffenburger Juden“ eröffnet.

 Dokumentationszentrum der Aschaffenburger Juden

ab 1978 – Öffentliches Gedenken an die Pogromnacht

Seit der ersten Erinnerungsveranstaltung 1978 wird der 9. November jährlich mit einem öffentlichen Gedenken begangen. Neben einer Feier mit Kranzniederlegung auf dem Wolfsthalplatz erweiterte sich im Laufe der Jahre der Kreis der Beteiligten wie auch die Form der Erinnerung: Kundgebungen, Schweigemärsche, ökumenische Gottesdienste und wissenschaftliche Vorträge kamen hinzu.

 Kranzniederlegung

1978 – Erster Besuch ehemaliger jüdischer Bürger*innen in Aschaffenburg

Anlässlich des 40-jährigen Gedenkens an die Pogromnacht fand 1978 die erste große öffentliche Veranstaltung zur Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde statt. Zu den Feierlichkeiten wurden auch überlebende Bürger*innen Aschaffenburgs eingeladen. Vorausgegangen waren jahrelange aufwändige Recherchen des Stadt- und Stiftsarchivs, um Namen und Adressen zu ermitteln. Die Stadt Aschaffenburg übernahm die Kosten des Aufenthalts und unterstützte auch die Reise finanziell.

Durch weitere Recherchen, Kontaktaufnahmen und Mundpropaganda erweiterte sich in den folgenden Jahren der Kreis der Gäste und wuchs auf mehr als 150 Personen an. Weitere Einladungen der Stadt Aschaffenburg folgten: 1980, 1981, 1984, 1992, 2006, 2008, 2013, 2018.

 Besuch ehemaliger jüdischer Bürger*innen in Aschaffenburg

1946 – Wolfsthalplatz und erster Gedenkstein

Bereits in einer der ersten Stadtratssitzungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die ab Oktober 1945 stattfanden, wurde beschlossen, den Platz der ehemaligen Synagoge würdig zu gestalten und einen Gedenkstein zu errichten. In Erinnerungen an den jüdischen Bankier und Wohltäter Otto Wolfsthal (1870 – 1942) entschied man sich für „Wolfsthalplatz“. Die Wahl der Inschrift für das Mahnmal war schwierig und so verzögerte sich die Aufstellung bis in den Sommer 1946: „Ach, töten könnt ihr, aber nicht lebendig machen, wenn es die Liebe nicht tut“ Friedrich Hölderlin (1770 – 1843)

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 Gedenkstein Wolfsthalplatz